Es gibt Dinge auf der Welt, die ich nicht verstehe. Rund 6.888 Sprachen zum Beispiel. Oder wie genau die Börse eigentlich funktioniert. Oder das, was ich das Ganz-oder-Gar-nicht-Prinzip nenne.

Das Ganz-oder-gar-nicht-Prinzip tritt in ganz unterschiedlichen Bereichen unseres Lebens auf. Es ist die Mentalität, das Gefühl, sich nicht nur halb für oder gegen etwas entscheiden zu dürfen, sondern eben ganz oder gar nicht. Mittelwege zu gehen, neue Dinge zu testen (mit dem Risiko zu scheitern und es eben noch mal zu probieren): Dafür geben wir uns selbst und auch gegenseitig selten den Raum.

Die Last des Wissens

Nehmen wir das naheliegende Beispiel der Ernährung (Wir sind hier bei Quandes Food, hat irgendwer etwas anderes erwartet?). Je mehr man sich mit Ernährung und ihren Folgen für die eigene Gesundheit, die Erzeuger:innen, die Nutztiere und die Umwelt auseinandersetzt, desto mehr schleicht sich das Gefühl ein, nie wieder etwas anderes konsumieren zu dürfen, als die Äpfel, die freiwillig vom Baum im nächsten Park gefallen sind.

Das angeeignete Wissen ist weniger ein Werkzeug, das hilft, informierte Entscheidungen zu treffen, sondern vielmehr eine ungewollte Last, die einen in die Enge treibt: Dieses Gefühl, man müsse von jetzt auf gleich alles ändern (Kategorie: Ganz), um sich selbst und der Welt auch nur annähernd gerecht werden zu können oder es eben lassen und einfach weiter machen, wie bisher (Kategorie: Gar nicht), weil ein Mittelweg nicht ausreicht.

Und jetzt?

Das Ding ist: Schon kleine Schritte haben einen Impact! Es macht einen Unterschied, sich zwischendurch eben doch gegen die Wurst auf dem Brot zu entscheiden, statt der Tomate aus Italien die Möhre aus Castrop-Rauxel zu kaufen und Hafer- statt Kuhmilch in den Kaffee zu schütten. Es geht nicht darum, alles sofort und perfekt und hundertprozentig umzusetzen. Es geht darum, bewusste und informierte Entscheidungen zu treffen, die auch mittelwegig sein dürfen.

Manchmal schleicht sich dadurch sogar heimlich ein „Ganz“ ein. So wurde ich vor Jahren Vegetarierin: Ich habe immer weniger Fleisch und Fisch konsumiert, bis ich mir irgendwann nicht mehr vorstellen konnte, Tiere zu essen. Ganz ähnlich ergeht es mir gerade mit dem Veganismus: Ich bezeichne mich (noch) nicht als Veganerin, entscheide mich aber in ca. 98% der Fälle dagegen, tierische Produkte zu konsumieren. Es ist mein derzeitiger Mittelweg, dem ich erlaube, irgendwann vielleicht zu einem „Ganz“ zu werden.

Also: Trefft informierte Entscheidungen, die zu euch und eurer Lebenssituation passen und geht kleine Schritte in die von euch gewünschte Richtung, wenn es einfach noch nicht an der Zeit fürs „Ganz“ ist.

Johanna Bre